Lidija Krienzer-Radojević ◄
Wir leben bekanntermaßen in einem Zeitalter der „Kultur“, der „Kreativität“, geprägt durch die Arbeit von kreativen Pionier*innen, Wissensunternehmer*innen, E-Gurus, Modedesigner*innen, Musiker*innen, digitalen Hausierer*innen, Händler*innen und Image-Macher*innen. Seit den 1970ern kam es zu einer raschen Ausweitung von Arbeit und Beschäftigung im Kulturbereich, der heute (zurecht oder nicht) als Kultur- und Kreativwirtschaft (KuK) bezeichnet wird. Auch wenn die Definition der KuK von Land zu Land unterschiedlich ist, sich oft sogar innerhalb einzelner Länder oder Regionen unterscheidet, so besteht dennoch Konsens darüber, dass sie ein immer wichtigerer Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit postindustrieller Städte und Regionen wird. Jene Regierungen, die die KuK als eine Lösung für die systematischen Krisen der Deindustrialisierung mit offenen Armen empfangen haben, fördern Kulturproduktion und investieren beträchtliche Ressourcen, damit Individuen und Institutionen den Herausforderungen dieses „kreativen Zeitalters“ gerecht werden können.
Was genau die Produktion in der KuK umfasst, ist eine komplexe Frage. Allgemein wird darunter die Schaffung „ästhetischer“ oder „symbolischer“ Güter und Dienstleistungen verstanden; Leistungen also, deren Wert sich von ihrer Funktion als Bedeutungsträger in Form von Bildern, Symbolen, Zeichen und Klängen ableitet. Der wachsende Anteils, den die KuK an der Gesamtwirtschaftsleistung hat, sowie das große Potential des Sektors zur Schaffung neuer Arbeitsplätze haben dazu geführt, dass Arbeitsbedingungen nicht mehr hinterfragt werden. Weiters scheint die Tatsache, dass es sich bei Kulturarbeit tatsächlich um Arbeit handelt (eine wirtschaftliche Tätigkeit also, die entlohnt wird), Politiker*innen, aber auch kritischen Geistern weitgehend entgangen zu sein. Stattdessen gehen Regierungen und andere politische Entscheidungsträger*innen ganz selbstverständlich davon aus, dass kulturelle Arbeit eine intrinsisch progressive Art der Beschäftigung sei. Aus diesen Gründen ist es wichtig, sich folgende Frage genau anzusehen: Welche Art von Arbeit, die man weit gefasst als „kreativ“, „kulturell“ oder „künstlerisch“ bezeichnen kann, zählt zur Produktion der KuK und welche Art von Arbeitsbiographien erschaffen diese symbolischen Güter, die als wesentliche Bestandteile im Übergang zu einer „postindustriellen“, „kreativen“ oder „wissensbasierten“ Wirtschaft gesehen werden?
Um Konnotationen wie jene des „individuellen Genies“ oder der „höheren Berufung“, die oft mit dem Begriff des/r* „Künstlers/in*“ in Verbindung gebracht werden, hintanzuhalten, bevorzuge ich den Ausdruck „Kreativ- oder Kulturarbeiter*in“. Diese Bezeichnung verdeutlicht auch, dass es sich bei kultureller Arbeit um einen gesellschaftlich verankerten, zielgerichteten Arbeitsprozess handelt. Kulturelle Arbeit ist eine in sich komplexe Tätigkeit und schafft eine Vielfalt an Arbeitsidentitäten und sozialen Auswirkungen. Der öffentliche Diskurs, oft verstärkt durch weitverbreitete Stereotype wie jene der egozentrischen „Trendies“, „Yuppies“, oder „Bobos“, stellt Kulturarbeiter*innen regelmäßig als faul, oberflächlich und unauthentisch dar. Andererseits werden kreativ-schöpferische Arbeitsmodelle, im Gegensatz zur überwiegend „unkreativen“ und entfremdenden Arbeit im Industriezeitalter, als entscheidende Mittel zur Erreichung individueller Freiheit dargestellt. Dabei scheinen Kreativarbeiter*innen die Möglichkeit zu haben, ihre intellektuellen und künstlerischen Talente zu nutzen und die Kontrolle über den Arbeitsprozess weitestgehend selbst in der Hand zu haben. Diese utopische Darstellung impliziert, dass die Motivation für eine solche Arbeit in der „Selbstverwirklichung“ begründet liegt und nicht in materieller Notwendigkeit. Gleichzeitig wird dabei vorausgesetzt, dass Kulturarbeit in die Selbständigkeit und das Unternehmertum im Geiste von Selbsterkundung und Selbstverwirklichung gehört. Diese fehlgeleiteten Bilder verhindern, dass Kreativarbeit als Beruf oder Karriereoption angesehen wird, bei der es um genauso viele und die gleichen (politischen) Fragen geht wie in anderen Arbeitsfeldern.
Für kommerziell ausgerichtete Kreativität könnte es entsprechende Anreize geben, aber eher läuft sie Gefahr, ausgebeutet zu werden. Da Kreativarbeiter*innen (aka der/die „Künstler*in“, „Designer*in“, „Regisseur*in“, „Autor*in“ und „Musiker*in“) im Mittelpunkt des Arbeitsprozesses [1] der KuK stehen und sie es sind, die den kennzeichnenden Wert dieser speziellen Industrien generieren, sind sie den selben ausbeuterischen und prekären Arbeitsverhältnisse ausgesetzt wie andere Arbeitende. Ganz anders als es jener Hype glauben machen will, der Kreativarbeit als vergnüglichen Selbstausdruck, als Freude an der Selbstverwirklichung glorifiziert, befinden sich viele Kreativarbeiter*innen in Abhängigkeitssituationen gegenüber großen Unternehmen oder multinationalen Konzernen, die die Bedingungen dieser „unabhängigen“ Produktion diktieren. Sie sind weder „Stars“, noch sind sie reich oder auch nur besonders erfolgreich. Hingegen schuftet der Großteil von ihnen in relativ anonymen Unternehmen oder Kulturinitiativen, sie tragen dabei die Last der „Selbständigkeit“ und leben entweder von ihrem sporadischen Einkommen aus „Projekten“ oder noch häufiger von Niedriglöhnen bzw. solchen am Existenzminimum. Ein Überangebot an Arbeitenden in der KuK erhöht den Wettbewerb unter kreativen „Unabhängigen“ noch zusätzlich.
Seitdem Tarifverhandlungen für gerechte Bezahlung und Arbeitsbedingungen unter jener ideologischen Maxime aufgegeben wurden, dass es in einer individualisierten „kreativen“ oder „wissensbasierten“ Wirtschaft nicht mehr angemessen erscheint, Individualinteressen mithilfe kollektiver Mittel zu verteidigen, sind Selbständigkeit und Freiberuflichkeit zum vorherrschenden Arbeitsmodell geworden. Die Allgegenwärtigkeit und Alltäglichkeit des Diskurses rund um das Thema des Unternehmertums bringt Arbeitende heute dazu, unternehmerischen Werten nicht nur zu entsprechen, sondern deren Verinnerlichung sogar als wesentlich für die persönliche Entwicklung und die eigenen Interessen anzusehen. Diese zweischneidige Facette des Einzelunternehmertums verstärkt noch Diskurse über „Selbst-Beschuldigung“ bei „gescheiterten“ Unternehmer*innen und Arbeitenden und untergräbt möglicherweise Kollektivanstrengungen zur Organisation und Vertretung von Kulturarbeiter*innen. All das trübt die Sicht auf die Tatsache, dass es eine systemische Unmöglichkeit ist, dass in einer marktwirtschaftlichen Ordnung alle erfolgreich sind und dass Arbeit immer den Launen und der Willkür von Vorgesetzten, Marktverschiebungen und den Erwartungen des Kapitals ausgesetzt ist. Die individualisierenden Diskurse über „Talent“ und „Kreativität“ und das Versprechen zukünftigen Ruhms und Segens sind nur ein weiteres Mittel zur Durchsetzung der Interessen des Kapitals im ewigen Kampf gegen organisierte Arbeit.
Für Dummys 🙂
Die Hauptgründe, warum in der Debatte rund um Kreativarbeit so wenig weitergeht und Talente oft im Verborgenen bleiben:
Kreativarbeit ist unstetig und projektbasiert. Verträge werden meist auf kurze Dauer abgeschlossen und Arbeitsplatzsicherung ist ein Fremdwort. Selbständige und freiberuflich Tätige, die oft mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Verwaltungstätigkeiten verbringen müssen, sind der Regelfall. Karriereaussichten sind sehr ungewiss und der Verdienst meist gering und ungleich verteilt. Zudem führt ein Überangebot an Arbeitenden in der Kreativwirtschaft dazu, dass viele Kreative kostenlos oder zum Existenzminimum arbeiten. Da Versicherung, Gesundheitsvorsorge und Pensionsleistungen eingeschränkt sind, arbeiten vor allem jüngere Menschen als Kreative und diese haben oft auch noch einen zweiten oder mehrere Jobs.
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Der Text im englischen Original ist auf
http://ausreisser.mur.at/online zu lesen.
[1] Die KuK umfasst auch andere Tätigkeiten, v. a. Fertigung, Dienstleistungen und technische Arbeiten. Hinter jedem/r* Kreativarbeiter*in stehen viele Menschen aus dem manuellen, klerikalen, administrativen, technischen und leitenden Bereich, die alle einen wichtigen Beitrag für die Produktion erbringen – auf sie sollte nicht vergessen werden. Diese Beschäftigten arbeiten in einem konventionelleren (und gut erforschten) Bereich der Arbeitswelt, zumindest verglichen mit ihren kreativen Kolleg*innen.