Das Feministische Wiener Kaffeehaus
Barbara Philipp ◄
Am 12. Mai 2020, am Ende des ersten Lockdown der Coronapandemie, eröffnete ich das Feministische Wiener Kaffeehaus in meinem Amsterdamer Atelier mit meinem ersten Gast: Delphine Bedel.
Delphine Bedel ist Künstlerin, Kuratorin, Feministin, Herausgeberin des Kunstbuchverlags Meta/Books. Während der ersten Corona-Jahre hat sie die Plattform Engagement Arts NL (https:// engagementarts.nl) mitbegründet, die sich gegen jegliche Form der Diskriminierung im Kunstbereich engagiert und Künstler*innen und Kulturschaffende unterstützt.
Wir teilten unsere Erfahrungen der ersten Wochen des ausgerufenen “intelligenten Lockdowns” in den Niederlanden, der primär auf die Eigenverantwortung der Bürger*innen baute und ein Maß an Bewegungsfreiheit zuließ.
Während unseres Austauschs sprach Delphine über den Ursprung des Wortes “feminism”, eine Recherche, die sie in den ersten Monaten der Pandemie online durchgeführt hat. Sie kam zu unerwarteten Erkenntnissen.
Delphine Bedel arbeitet in Amsterdam, war aber auch durch ihre zahlreichen Lehrtätigkeiten und Teilnahmen an Kunst(buch)messen und Ausstellungen bis zum Ausbruch der Pandemie stetig auf Achse. Corona brachte einen plötzlichen Einbruch ihrer internationalen Aktivitäten vor Ort, bevor vieles online möglich wurde. Die feministischen Projekte, Gespräche und Kollektive wurden während dieser Zeit zu einem zentralen Bestandteil ihrer Praxis.
Wir waren uns eine geraume Zeit lang nicht mehr in den Niederlanden begegnet, hatten aber das Glück, einige Monate davor in einem Kaffeehaus in Wien zusammengesessen zu sein, um ihre Teilnahme an der Wiener Art Book Fair zu feiern. Somit war Delphine Bedel die ideale erste Gesprächspartnerin, die das Flair der Wiener Kaffeehäuser gut kannte.
Unsere Gespräche in Wien verliefen angeregt und leidenschaftlich. Im virtuellen Raum fokussierten wir uns auf die Fortsetzung der gestellten Frage, wie es möglich ist gesellschaftlich und politisch Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen und welche Maßnahmen besonders auch im Kunstbereich dringend gesetzt werden müssten.
Die Vorzeichen, unter denen wir die Diskussion weiterführten, hatten sich allerdings aufgrund der Pandemie äußerst zugespitzt.
Welche Rolle spielten wir als Feminist*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen vor und in dieser Zeit? Ich denke, diese Frage hat bei Delphine Bedel eine tragende Antwort in der Gründung der Plattform Engagement Arts NL. Sie sagt, es sei nicht nur eine Frage der Repräsentation oder des geschlechtsspezifischen Lohngefälles. Jede durchgeführte Umfrage zeigt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Prekarität und Machtmissbrauch gibt, es ist ein blinder Fleck. Ohne die richtigen feministischen Daten werden wir das Ausmaß dieser Probleme nicht kennen, die unser Leben und unsere künstlerischen Praktiken beeinflussen. Diese Probleme müssen im Kulturbereich dringend angegangen werden.
http://www.delphinebedel.com
https://engagementarts.nl
• Delphine Bedel ”Feminism. What’s in a Word?” in Futuress.org (2020) https://futuress.org/stories/feminism-whats-in-a-word/
Das Wiener Kaffeehaus, Episode 1- 10
ist ein Kunstprojekt und eine Rauminstallation, in der eine Serie von Gesprächen mit Künstlerinnen, Kuratorinnen, Aktivistinnen und Müttern während der ersten zwei Jahren der Pandemie, 2020- 2022 stattgefunden hat.
Das Kaffeehaus ist für mich ein Sehnsuchtsort, ein Ort des Austauschs und des Sichsammelns, ein Nachhausekommens. Aus dem Gefühl des Verlustes heraus malte ich ein Kaffeehausinterieur, in das ich mich hineinprojizieren konnte und mit dem ich fortan arbeitete. Aber die menschlichen Stimmen fehlten! Einen Raum und eine Möglichkeit für feministische Künstlerinnen und Aktivistinnen zu kreieren, in denen es möglich ist, sich auszutauschen, kennenzulernen und über die künstlerische Arbeit und das Zeitgeschehen nachzudenken, war ein logischer weiterer Schritt. Ich wollte meinen Gästen und mir sowohl eine Plattform zur Präsentation von Arbeiten und Gedanken bieten als auch jene Veränderungen in Arbeitsbedingungen von Künstlerinnen mit und ohne Kinder dokumentieren, welche die Pandemie auslöste.
Der fiktive Raum erwachte durch diese Begegnungen zum Leben, wurde real.