Eurasismus und der Nazi-Jargon

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Mirnes Sokolović ◄

Aus dem Bosnischen von Elvira Veselinović

Vorbemerkungen zur deutschsprachigen Veröffentlichung:
Der folgende Artikel ist der zweite von drei Teilen1, in denen sich der Autor u. a. mit dem publizistischen Zusammentreffen des radikal rechten serbischen Filmregisseurs Dragoslav Bokan, ehemaliger Kommandeur der z.T. wegen Kriegsverbrechen in Bosnien verurteilten paramilitärischen Organisation „Weißer Adler“ und Aleksandr Dugin, dem heutigen Putin-Berater, als Herausgeber und Autor der rechten serbischen Zeitschrift „Naše Ideje“ („Neue Ideen“). Ihre Strategie, sich linkem, v. a. alterglobalistischem Vokabular zu bedienen und für ihre radikal rechten, anti-demokratischen, anti-pazifistische Ideologien umzudeuten, hat bis heute Einfluss auf die Neue Rechte in Europa und den Kreml.

Der (Neo)Eurasismus ist eine eine politische Bewegung mit einer totalitären Ideologie nach Aleksandr Dugin, Faschist, Philosoph und Mystiker. Das russische Volk inklusive die russisch-orthodoxen Kirche gilt darin als Wahrerin der Tradition und ist dem postmodernen Westen in einem archaischen Gegensatz entgegengesetzt. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ging der Umbruch zum Neo-Eurasismus einher. Dieser steht in scharfer Opposition zu den USA und tritt für Bündnisse mit den Völkern Kontinentaleuropas sowie Klein-, Zentral und Ostasien ein. Dabei treffen bzw. überschneiden sich diese Ideen mit denen der westeuropäischen Neuen Rechten. Seit dem Bestehen der Russischen Föderation ist der Eurasismus tief in der russischen Politik verankert. Dugin hat sich als Anführer der Bewegung in der militärisch-politisch-wissenschaftlichen russischen Elite etabliert.2

Die Altermondialisten3 und Eurasier4 zählen zweifellos auch den Postmodernismus zu ihren Hauptfeinden. Sie empfinden ihn als Symptom für den Sieg des Imperialismus und das Ende der Weltgeschichte.

[…]
Mit der Zeit werden sich die Alterglobalisten/Eurasier postmodernistischer Strategien bedienen, mit denen sie zu politischen Zwecken jonglieren werden. So werden sie zum Beispiel mit postkolonialem Beiklang den Westen beschuldigen, er stelle sich selbst als »fortschrittlich«, »progressiv« und »zivilisiert« dar, während alle anderen historischen Erfahrungen und gesellschaftspolitischen Systeme mit etwas »Unvollkommenem«, »Zurückgebliebenem« und »Barbarischem« gleichgestellt werden.
Indem sie das postmoderne Glossar umstülpen, werden die Altermondialisten [tatsächlich die Eurasier] es ausnutzen, dass jede Darstellung als Lüge betrachtet werden kann. Es existiert kein allgemeines System mehr, sondern das westliche, amerikanische, russische, chinesische, iranische oder indische Wertesystem, die jeweils die simpelsten Dinge ganz anders deuten. Das Endresultat wird sein, dass Dugin, in der Umkehr eines post-truth-Rhetorik-Slogans, die russischen Kriege der ersten drei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts in den westeuropäischen Medien verteidigen wird, und zwar damit, dass es eine russische Wahrheit gibt.

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Die Ästhetik der rechten Naše ideje setzt sich diesem postmodernistischen Überfluss entgegen, in dem sie ein Geflecht okkulter alternativer Wahrheiten vereinnahmt und sich dabei auf einsame Geister stützt die – wie sie sagen – den Widerstand gegen die Zeit begründen, so wie die Mediala5 die Selbstwichtigkeit und Sakralisierung der Kunst nachahmt, indem sie den post-surrealistischen Slogan nachbetet: Kunst wird heilig sein oder es wird sie nicht geben.

[…]
Genau wie sich die deutschen reaktionären Modernisten der Zwischenkriegszeit nicht ausschließlich entweder für Kultur oder für Technik entscheiden, wie es die klassischen Konservativen empfehlen, sondern diese zu einer Synthese von Technologie und Kultur verschmelzen, wodurch die moderne Technik in das kulturelle System des deutschen Nationalismus eingebaut wird, ohne dass dabei (nach Jeffrey Herf) die romantischen und antinationalen Aspekte verlorengehen, ebenso drehen die Alterglobalisten und Eurasier zu Beginn der Neunziger, und auch in der serbischen Variante der Naše ideje, diesen Antimondialismus nicht einfach zu einem gewöhnlichen nationalen Hirtenspiel, sondern träumen stattdessen von einer vereinigten, technologisch und intellektuell überlegenen Gemeinschaft, die zudem auch supranational ist und den gewöhnlichen Materialismus der Vergangenheit hinter sich
lässt.
So wie Célines Pamphlete oder Jüngers Essays auch im fragmentarischen Rhythmus der Avantgarde niedergeschrieben sind, verwenden auch die Altermondialisten post truth-postmoderne rhetorische Wendungen und Alter-Visionen über die Endzeit, als Intarsien eines konkreten politischen Programms.
Das wird derselbe Weg sein, den die deutschen reaktionären Modernisten vorweggenommen haben, als die militärischindustriellen Bedürfnisse unter Hitler zu Nationaltugenden wurden. Eben das, was beispielsweise Thomas Mann6 im reaktionären Modernismus als gefährliche Melange robuster Zeitgemäßheit und einer bejahenden Haltung zum Fortschritt erkannt hat, in Kombination mit den Träumen aus der Vergangenheit – wird spürbar auch in der Begeisterung mit Dugins Gedanken konservativer Revolutionäre und ihrem hochtechnologischen Romantismus als Meridian eines neuen hohen postaufklärerischen Welt, in der die heroischen Werte einer fast vergessenen Tradition wieder zum Leben erweckt werden. Für Dugin ist die Konservative Revolution »Die letzte Revolution«, »die größte Revolution in der Geschichte, kontinental und universell«, »die Rückkehr der Engel, Auferstehung der Helden und der Aufstand des Herzens gegen die Diktatur des Verstandes«, und mit dieser Nähe korrespondieren Dugins Konzepte, wie die Forscher zeigen, eindeutig mit dem Faschismus, und geeint werden sie von der geopolitischen Vision über den Gegensatz zwischen Land und Meer, was die moralischen Dimensionen des manichäischen Kampfes zwischen Gut und Böse annimmt.

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Die Eurasier – so sagt er – haben längst die Verwandlung der kommunistischen Partei in eine Partei nationalen Typs vorhergesehen, völlig immun gegen die Inklusionen des Proletarier-Internationalismus. Nach der Perestroika war die russische kommunistische Partei frei von der Dominanz des Marxismus, Atheismus, Internationalismus und des negativen Leninismus und wurde zu einer Partei nationalen Typs, mit einer gigantischen politischen, staatlichen und geistigen Zukunft.

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Das Konzept des Dritten Weges ist fast immer auf die eine oder andere Weise mit der Spur des Russischen Weges verbunden, und die Forscher heben ausnahmslos die Russophilie der konservativen Revolutionäre hervor. Hier ist die geopolitische Besonderheit Russlands und dessen historisches Schicksal entscheidend. Die am meisten verbreitete geopolitische These des »Dritten Wegs« kann als »weder Ost, noch West« formuliert werden, was die Zurückweisung sowohl »aufklärerischer«, »atlantischer« Tendenzen als auch gesellschaftlicher Archaismen asiatischen Typs bedeutet.
Vorläufer des Dritten Wegs gab es auch in Deutschland, denn der Archetyp der deutschen Seele und die geopolitische Position der Deutschen fördert bei diesen, ähnlich wie bei den Russen, eine Neigung zu einer solchen Ideologie, angefangen bei Fichte, Herder und den Romantikern, über Nietzsches Synthese bis hin zu Carl Schmitt und Ernst Jünger.

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Die vollständigste und totale Inkarnation des Dritten Wegs – sagt Dugin – war der deutsche Nationalsozialismus. In der Verbindung des rechten Konzepts von Nationalismus mit dem linken Konzept von Sozialismus wird es offensichtlich, dass es hier weder um einen rechten noch einen linken Weg geht, sondern eben um den Dritten Weg.

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Die Hauptursache der Krise stellt für die Eurasier das Westlertum dar, begleitet von der Absolutisierung der Zarenherrschaft, der Pseudoaristokratie, der Intelligenzija als »entwurzelter Schicht«, dem Verlust der totalen Orthodoxie, der Degradierung des petrinischen Russlands in Richtung des groben, nichtorganischen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts.

[…]
Ein besonderes von den Eurasiern aus der nationalsozialistischen Tradition ererbtes Moment – sagt Dugin – ist die Mission der Waffen-SS im intellektuell-wissenschaftlichen Sinne, die sich anstatt des begrenzten nationalen Germanentums für ein einheitliches Europa einsetzte, aufgeteilt in ethnische
Regionen mit neofeudalen Zentren, wobei den ethnischen Deutschen keine besondere Rolle zuteil wird. Diese Organisation hat internationalen Charakter und umfasst auch die Vertreter der »farbigen« Völker – asiatische und nahöstliche Muslime, Tibeter, Türken und Araber.
Die Bewegung der SS ließ gewisse Seiten des mittelalterlichen geistlichen Ritterordens wieder aufleben, mit den typischen Idealen der Überwindung von Schranken, von Armut, Disziplin und meditativen Praxen, womit in der Wirtschaftssphäre kategorisch die typisch kapitalistischen Werte Hedonismus, Plutokratie, finanzieller Liberalismus, freier Markt und Zinssystem abgelehnt werden, was auch dem Credo der Naše ideje nahe steht.

[…]
Das Verschmelzen [dieses] alter-globalistischen Panslawentums mit dem Nationalsozialismus zeigt sich sonnenklar in einem besonders inspirierten Exkurs von Dejan Ćorić über Stalingrad und Hitler. Genau in dem Moment, in dem die Slawen – die seit Tagen wie wild gekämpft hatten – endlich den Sieg erringen, beginnt Hitler – laut Ćorić – langsam zu altern, da ihn die Nachrichten in einem Bunker ereilen, die er als Mischung aus Lager und Kloster beschreibt. Er sieht sich im Spiegel seiner bisherigen spektakulären Macht, und im Abglanz dieses großen und letzten Niederlage wird er plötzlich bucklig, sein linkes Bein versagt ihm immer öfter den Dienst, und er wird auch keine große Rede mehr halten.
In dieser Atmosphäre der Angst, beim Austauschen von Selbstmord-Rezepten, phantasiert und träumt Hitler, keineswegs verrückt, sondern nur ein abnormaler Mensch, erbaut nach anderen, höheren Parametern als den menschlichen, in seiner Projektion von der Zukunft, und studiert aufmerksam die Kolonnaden, Kuppeln, Winkel und Blickwinkel des Pantheons und der Tempel seiner Geburtsstadt Linz.
Es beginnt also alles in der Kunst, wird hier gesagt, und alles endete darin, im Traum der Geschichte und der Architekturgeschichte, die Kant als das einzig Denkwürdige ansah. Draußen, auf der Straße, vor dem Untergang – erklärt Ćorić – klagte Hitler niemanden für den Misserfolg und die Niederlage an. Schuld war der Feind, der keine bessere Welt wollte.

[…]
Noch Jahre später werden die Anatomen der faschistischen Rhetorik üblicherweise schreiben, Hitler sei der größte Praktiker dieses reaktionären Modernismus gewesen, ungeachtet dessen, ob er mit allen Thesen einverstanden war, und ohne Rücksicht darauf, ob all diese konservativen Revolutionäre wirklich ihren nationalsozialistischen Dienst angetreten hatten oder vielleicht in Ungnade gefallen waren. Indem er Autobahnen baute und einen Krieg begann, hat er als einziger die Technik mit der deutsche Seele vereint. Daraus erwächst eine stählerne Katharsis, von der die Kräfte des tiefen, substanziellen, völkischen Deutschlands freigesetzt werden.
Diese Verbindung der konservativen Revolution als der Seele des Eurasiertums mit dem Nationalsozialismus wird auch Dugin nicht leugnen, der lediglich zugibt, keine Zeit mehr zu haben für moralische Beurteilungen und mondialistische rechts-links-Aufteilungen.
Durch Symbole, Metaphern und Analogien wurden auf dem Niveau der Sprache auch hier entfernte und nicht übereinstimmende Bedeutungen miteinander in Verbindung gebracht: Technik und Kultur – dank der konservativen Revolution – sowohl im Nationalsozialismus als auch im Eurasiertum. Im Schwange der Konterrevolution gegen die Aufklärung haben sich Fortschritt und Technik mit der Symbolik und der Sprache der Kultur verbunden – Gemeinschaft, Blut, Wille, Ich, Form, Produktivität und Rasse – befreit aus den Fängen der Zivilisation verschmelzen sie hier mit den Idealen des Verstands, Intellekts, Internationalismus, Materialismus und Finanzen. Das, was die Ingenieure und rechten Literaten räumten, endete mit Slogans, von denen sich die Politiker leiten ließen und so auch in den Krieg zogen, auf zweierlei Art und Weise, sowohl in Putins als auch in Hitlers Fall.
Eine solche politisch-rhetorische Verwandtschaft zwischen dem altermondialistischen eurasischen Imaginarium und dem Nazi-Jargon ist eine gar nicht mal so vernachlässigbare empirische Gegebenheit, die es zur Kenntnis zu nehmen gilt, während im Namen dieser Prinzipien über die bosnischen Berge und ukrainischen Steppen Miloševićs/Karadžićs und Putins Panzer fuhren, ihre Entnazifizierung durchführten und – im Rhythmus einer postfaktischen Welt – Europa angeblich vom Kollaborationismus und Faschismus befreiten.

Der ungekürzte Text ist auf https://tatsachen.at zu lesen.

1 Erstveröffentlichung auf: https://www.xxzmagazin.com/euroazija-i-nacisticki-zargon
2 Vgl. Thomas Vorreyer https://www.grin.com/document/293949
3 Alterglobalismus oder Altermondialismus bezeichnet eine soziale Bewegung, die internationale
Kooperation und Zusammenarbeit unterstützt, sich aber die negativen Auswirkungen
der Globalisierung, wie Umweltzerstörung, Klimakatastrophe, ökonomische und soziale Ungerechtigkeit,
Lohndumping, Bürger*innenrechte etc. stellt.
4 Anm. d. Red.: Die Gleichsetzung der Begriffe Eurasier/Alterglobalisten hier und im weiteren
Text paraphrasiert die Taktik der serbischen, aber auch russischen und französischen Neuen
Rechten, Begriffe und Argumente der linken Bewegung für eigene Zwecke zu kapern bzw.
umzudeuten
5 Mediala – Künstlergruppe, 1953 in Belgrad gegründet
6 »Das eben war das Charakteristische und Bedrohliche, die Mischung von robuster Zeitgemäßheit,
leistungsfähiger Fortgeschrittenheit und Vergangenheitstraum, der hochtechnisierte
Romantizismus.« [Originalzitat Thomas Mann: Deutschland und die Deutschen]