Karin Schuster ◄
Wir befinden uns in der Halbzeit eines weiteren Jahres mit kräfteraubenden Arbeitstagen in der Pflege und Betreuung. Durch Corona haben sich die Rahmenbedingungen verschärft: noch weniger Pflegekräfte stemmen noch mehr Arbeit. Nach dem anfänglichen Klatschen für medizinisches Personal ist dieses kurze Aufflackern an Sichtbarkeit relativ rasch wieder erloschen. Die oft artikulierte Wertschätzung ist nicht passiert. Im Gegenteil, Pflegekräfte sind seit Ausbruch der Pandemie verstärkt Anfeindungen und Aggressionen ausgesetzt. Wir können es schon nicht mehr hören! Weder die Bevölkerung, noch EntscheidungsträgerInnen oder gar Pflegekräfte selbst. Warum eigentlich? Krankheit, Hilfsbedürftigkeit und Tod, alles Zustände, die wir als Menschen gerne gedanklich von uns wegschieben. Alles Dinge, die wir für uns und unsere Lieben nicht haben wollen, das passiert schon nicht! Überrascht sind dann die meisten, wenn es passiert. Plötzlich werden Pflegekräfte im tagtäglichen herausfordernden Spagat zwischen professioneller Arbeit, empathischem Verhalten und totalem Zeitdruck wahrgenommen. Im besten Fall läuft mit dem Pflegebedarf alles glatt, es gibt Dankeschön und Tschüss. Klingt hart? Ist es auch. Sobald es keinen Bedarf mehr gibt, ist jede/r froh, sich nicht mehr mit Pflege beschäftigen zu müssen und so bleibt alles wie es ist: „Who cares?!“
Wen schert es also?
Vonseiten der verantwortlichen PolitikerInnen kommen Aussagen wie: „Für Verbesserungen der Rahmenbedingungen sind die Träger der Pflegeeinrichtungen verantwortlich“. Der Fokus liegt im Großen und Ganzen darauf, möglichst mehr Menschen in Pflegeberufe zu holen. Das ist auch wichtig, denn bis 2030 werden österreichweit bis zu 100.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt. Rasche Verbesserungen, die eine Entschärfung des Personalnotstandes einleiten, bleiben jedoch aus.
Mensch vs. Maschine
„Dort wo hochtechnologische Medizin erbracht wird, ist eine Überversorgung sichtbar, dort fließt das Geld hinein, welches bei Personal abhandengekommen ist. Unterversorgung geschieht wiederum dort, wo keine Lobby vorhanden ist und von der Industrie keine Märkte erschlossen werden können. Das ist etwa der direkte Kontakt zum Menschen“, sagt Claudia Wild, Gesundheitswissenschaftlerin und Leiterin des HTA Austria.(Austrian Institute for Health Technology Assessment) .Jene Arbeit also, wo kleine, große, junge und alte Menschen betreut und gepflegt werden, wo kein Markt erschlossen werden kann, ist gesellschaftlich weniger wert. Und das zeigt sich monatlich auf den Gehaltskonten der zu einem Großteil von Frauen geleisteten Arbeit.
Die Pflege – kommt nicht vor
Die vielfältigen Tätigkeiten in Pflegeberufen werden gerne als Anreiz formuliert, um in diesem Sektor tätig zu werden. Möglicherweise bringt genau diese Vielfalt das Problem mit sich, dass es „die Pflege“ einfach nicht gibt. Und daran kann es liegen, dass Pflegekräfte zu keinem gemeinsamen Ort finden, um ihre berufspolitischen Kräfte zu bündeln. Pflegeberufe sind die größte Gruppe im Gesundheitsbereich, allerdings in Entscheidungen ganz selten oder nicht mit eingebunden. Das beginnt in einer kleinen Privatklinik, zieht sich über Landesspitäler hin zu bundesweiten Gremien wie dem obersten Sanitätsrat oder der Bundeszielsteuerungskommission. In letzterer sind laut Rechercheplattform Dossier die Mitglieder weder auf der Website des Ministeriums genannt, noch wurden sie auf Dossier-Anfrage offengelegt. Warum eigentlich?
Wo kämen wir da hin?
Österreich liegt, was die Lebenserwartung betrifft, etwas über dem OECD-Schnitt, ist jedoch bei den gesunden Lebensjahren weit darunter. Es gilt, die Versorgung der Menschen in allen Regionen des Landes zu sichern und gleichzeitig den zu betreuenden Menschen genauso wie den Pflegekräften einen menschenwürdigen Alltag zu bieten. Egal in welchem Setting, ob daheim oder in unterschiedlichsten Wohn- und Betreuungsformen, es braucht Angebote unter Einbeziehung des sozialen Umfelds sowie eine proaktive Herangehensweise.
We care a lot!
Damit PolitikerInnen endlich ins Handeln kommen, müssen die notwendigen Kämpfe um bezahlte und nicht-bezahlte Care-Arbeit verbunden werden, um gemeinsam eine nachhaltige und bedürfnisorientierte Sorge und Pflege aller sicherzustellen. Es gilt, Koalitionen zu bilden und sichtbar zu machen, parteiübergreifend und unter Einbeziehung der Bevölkerung. Es braucht ernsthafte Beteiligungsprozesse und die entsprechende Zeit dafür!
Pflegestützpunkt 3.0
Der Pflegestützpunkt ist ein Projekt von Radio Helsinki, dem Freien Radio Graz. Mit Mai 2022 startete das bereits dritte Projektjahr mit Radiosendungen, Podiumsgesprächen, Pflegestammtischen für professionelle Pflegekräfte, einem Pflege-Tanz-Flashmob sowie einem Theaterworkshop für Pflege-Auszubildende. Die vielfältigen Settings an unterschiedlichen Orten sollen Interesse am Thema Pflege wecken und zum Mitmachen einladen. Der Pflegestützpunkt fördert Erfahrungsaustausch, Vernetzung und schafft die dringend notwendigen Diskursräume, um gemeinsam über die Zukunft der Pflege zu diskutieren und Lösungsansätze zu finden, in Graz und landesweit. Pflegearbeit – bezahlt und unbezahlt – muss verstärkt sicht- und hörbar gemacht und endlich wertgeschätzt werden!
Relevante Links:
Projektüberblick & Termine: https://helsinki.at/projekte/pflegestuetzpunkt-3-0/
Podcast: https://cba.fro.at/podcast/pflegestuetzpunkt-wie-wir-pflegen-und-pflegen-wollen
Pflegestützpunkt-Newsletter: mail an pflege@helsinki.at
https://www.dossier.at/dossiers/gesundheit/diagnose-systemfehler/
https://www.sozialministerium.at/Themen/Pflege/Community-Nursing.html