Igor F. Petković und Dominika Kalcher◄
Rückzüge bin ich durch Kreativ-Lockdowns im Home-Office gewohnt. Die Covid-Einschränkungen erlebte ich anfangs daher durch dystopische Ausformungen, wie Straßen voll bleierner Stille oder vereinzelten distanzierten Menschen, deren Gesichter unter den Masken unleserlich wurden.
Die fundamentale Kulturzäsur durch den plötzlichen Wegbruch lebendiger Kunstaufführung machte das prekäre Zuhause zur selbstreferenzierten Echokammer, in dem einem/einer die Luft ausgeht. Dieser beängstigenden Stimmung setzten wir im ersten Lockdown als Kunstverein das künstlerische Solidaritätsprojekt www.corona-fermata.org entgegen. Für mich wurden zudem Projekte in und mit der Natur ein zentraler Ausgleichspunkt. Wir haben schnell und kreativ auf die Herausforderungen reagiert. Projekte mussten adaptiert, redimensioniert und manche schließlich verworfen werden. Dennoch konnten wir zwischen zwei Lockdowns die Tribünen der „Gruabn“ mit etwa 100 Besucher_innen füllen und die Sauraugasse mit einer künstlerischen Intervention bespielen.
Durch Corona verschwanden nicht nur gewisse Themen aus dem Blickfeld, bestehende Missstände wurden so – auch in der Kunst- und Kulturszene – offensichtlicher. Weder wurde das kreative Potential der Szene für Lösungsansätze einbezogen, noch bestehende Kompetenzen ausreichend genutzt. Als endlich Hilfsmaßnahmen gesetzt wurden, zeigten sich bestehende strukturelle Unterschiede umso drastischer. Relativ gut abgesicherte Institutionen konnten ihre Mitarbeiter_innen in Kurzarbeit schicken, während bisher schon prekär tätige Kulturarbeiter_innen existenzielle Verschärfungen der Lebens- und Produktionsbedingungen hinnehmen mussten.
Eine oft auch geistige Enge führt zu gefährlicher kultureller Banalität und dem Wunsch nach einem Zurück zu alter „Normalität“. Dabei sollte gerade eine kritische Kunst visionäre Perspektiven für eine postpandemische Welt aufzeigen. Ich wünsche mir eine breite gesellschaftliche Debatte, die mutige kulturpolitische Vorschläge formuliert und lebbare Handlungsspielräume eröffnet. Da kleine Kulturvereine oft agiler auf die Herausforderungen reagierten, hoffe ich auf eine kulturpolitische Neuausrichtung, die vielfältige, breit aufgestellte Kulturräume gegenüber großen Kulturevents bevorzugt.
Die Digitalisierungswelle hat im Windschatten von Corona endgültig alle Bereiche der Kunst erfasst. Netzkunst und Artificial Reality werden mit Hybridveranstaltungen und interaktiven Beteiligungsformaten verbunden, was auch neue auch die Erreichung neuer Zielgruppen und ein internationales Publikum ermöglicht. Doch der virtuelle Raum ist ungeeignet für die Vermittlung menschlicher Interaktionen, wie das wirkliche Berührtsein im gegenseitigen Erkennen oder die Inspirationskraft direkter Begegnung. Auch besteht die Gefahr, dass die virtuelle Realität mehr und mehr ein Eigenleben entwickelt.
Ich sehe schon lange einen „Trend“ zu überbordender bürokratischer Verwaltung von Kunst und Kreativität. Als nunmehr staatliche Kontrollorgane an der Schwelle der eigenen Veranstaltung sind wir “zwangsermächtigt”, Menschen zu kontrollieren, Eintritte zu verweigern und Daten zu speichern. Dadurch erhöht sich die Schwelle zur Teilhabe an Kunst und Kultur.
Igor F. Petković studierte in Graz, Belgrad und Novi Sad, er ist freier Konzeptkünstler und künstlerischer Leiter von APORON 21. Seit 2004 erforscht er künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten, wissenschaftliche Erkenntnisdarstellungen, popkulturelle Phänomene und den Zeitgeist. Er arbeitet vorwiegend in den Medien Film und Fotografie, schließt in seine Installationen, Performances und Ausstellungen aber auch multimediale und interdisziplinäre Zugänge ein. Er arbeitet an einer Vielzahl von sozial und politisch engagierten, interkulturellen Kunst- und Kulturprojekten, als Künstler, Organisator und Wissenschaftler.