zwischen drinnen und draußen

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Auszüge aus Briefwechsel zwischen Autor*innen und Insassen der Justiz­anstalt Graz-Karlau

Foto: Corinna Klug
[Alfred Goubran]

Ich kenne die Karlau von meiner Zeit in Graz, ein Gefängnis mitten in der Stadt, so wie ich es von Klagenfurt kenne, dort im gleichen Gebäude mit dem Landesgericht oder hier in Wien, wo nur wenige hundert Meter von mir die Schubhäftlinge untergebracht sind und ich oft vorbeigehe, wie ich in Klagenfurt und Graz an den Gebäuden vorbeigegangen bin, oft auch nachts und ich mir gedacht habe: Was ist das für eine Wirklichkeit, hier inmitten der Stadt, der Bürger und Geschäfte, dem Lebensalltag wie man ihn zu kennen meint, was ist das für eine Wirklichkeit, die für die meisten Bewohner unbetretbar bleibt, eine Lebenswirklichkeit von der das Gros der Menschen keine Ahnung hat und von der kaum berichtet wird – was, denkt man, gäbe es denn von dort schon zu berichten, wo wir täglich mit Ereignissen und Lebenswirklichkeiten aus allen Ecken und Enden der Welt, die Neuigkeitscharakter besitzen oder zumindest exotisch sind und zur Zerstreuung taugen, bombardiert werden? – Aber es ist, denke ich, ein Zug der Zeit, das wir vom Nahen und Nächsten wenig und immer weniger und im Grunde nichts wissen und zumeist auch nichts wissen wollen.

Ich habe dieses Desinteresse stets als Kälte und Unempfindlichkeit empfunden und für das Schreiben, auch das literarische Schreiben, ist es tödlich. Nach meiner Erfahrung geht dem „Schreiben-wollen“ stets ein „Wissen-wollen“ voran. Und sei es nur, dass man wissen will, ob man das kann, was einem irgendwie vorschwebt, ob es gelingt, das, was einem in der Seele brennt, zu artikulieren, ihm eine Form zu geben. […] Es ist jedes Mal ein Versuch und man kann nur hoffen, dass es nicht dabei bleibt.

[Christian]

Mir gefällt es, dass Du vorurteilsfrei an einen Dir unbekannten Häftling schreibst, um die Basis für eine Korrespondenz zu ermöglichen. Menschlichkeit – das ist etwas was in Zeiten von Künstlicher Intelligenz, Digitalisierung und riesigen Datenmengen peu à peu abhandenkommt.

Dein Leben in der so genannten Freiheit, unterscheidet sich definitiv von dem Leben in dieser „Einrichtung“, allerdings gibt es auch hier Menschen mit Empfindungen, Intellekt, Talenten begleitet von viel Leid.

[Alfred Goubran]

Die Erfahrung, dass es die Welt von damals nicht mehr gibt, habe ich oft gemacht. Doch hat mir das auch bewusst gemacht, dass man im Schreiben entscheiden kann, was bleibt. „Alles ist vergänglich“ ist so ein Satz, den man bis 17 wahrscheinlich schon hundertmal ausgesprochen hat, aber begreifen kann man das nur schwer und erst spät im Leben. Dann weiß man, wovon man spricht. Und dieses Wissen kommt nicht nur aus den Erfahrungen, sondern es ist eine Gewissheit, beinahe etwas wie ein Gefühl oder ein Geschmack… Gewissheit eben. Alles andere sind Worte…

[Christian]

Kein Mensch wird als Süchtiger oder Krimineller geboren. ln meiner Jugend war die Gesellschaft noch damit beschäftigt die Gräuel des Zweiten Weltkrieges und dessen Auswirkungen auf die Gemeinschaft aufzuarbeiten. Es gab klare Regeln, die, wenn sie gebrochen wurden, schnell zur Ausgrenzung führten. lch war in jenen „Tagen“ außerstande zu erkennen, was ich wollte und wie ich das, was mir vage vorschwebte, überhaupt erreichen sollte. Wenn mein Interesse geweckt war, hatte ich keine Schwierigkeiten etwas zu erlernen, leider mangelte es zu dieser Zeit an kompetenten Lehrern, Bezugspersonen oder Vorbildern. […]

Viele Menschen ertrinken in Selbstmitleid, wenn etwas falsch läuft, vergessen dabei aber, dass es in allen Lebensbereichen Vorreiter gibt, die aufgrund persönlicher Erfahrungen etwas Gutes zum gesellschaftlichen Gemeinwohl beitragen könnten. Dafür ist es notwendig Gehör bei einflussreichen Menschen zu finden. Um etwas zu verändern, muss man innovative Ideen einbringen, aber in Österreich ist das sehr schwierig. Wer schenkt einem „Kriminellen“ schon Gehör?[…]

Es ist unmöglich bereits begangene Fehler ungeschehen zu machen. Es macht wenig Sinn zu jammern, denk daran, Geschichte wird in der Gegenwart geschrieben. lch lebe „den Augenblick“ und versuche jetzt das Richtige zu tun. Diese Einstellung hat mir geholfen immer wieder „auf die Beine“ zu kommen.

[Alfred Goubran]

Jedenfalls will ich sagen, dass ich in meinem Leben die Erfahrung gemacht habe, dass Vieles was uns zustößt, besonders in den frühen Jahren, weniger mit uns zu tun hat – meist gar nichts – sondern die Konsequenzen des Tuns eines anderen sind; schicksalhafte Konsequenzen, wenn Du so willst, dass man etwa die Untergänge eines anderen leben muss, dem man in irgendeiner Form ausgeliefert oder unterworfen ist, etwa als Kind. Das merkt man oft erst dann, wenn das erledigt ist und „das eigene Leben“ beginnt. So, als wäre man vorher ungeboren.

[Christian]

Fest steht, dass in meinem Leben Einiges schiefgelaufen ist. Ob ich ein Opfer bin? ln jungen Jahren sicherlich, dabei möchte ich die von mir begangenen Fehler keinesfalls „kleinreden“. Zwischenzeitlich ziehe ich es vor an mir zu arbeiten, um das Beste aus der Situation zu machen. Es ist einfach zu behaupten, Dinge ereigneten sich in einer anderen Zeit, einer anderen Welt!

[Alfred Goubran]

Als ich meinen ersten Erzählband („Ort“) schrieb, habe ich die Erfahrung gemacht, dass man im Schreiben einerseits bestimmen kann, WAS BLEIBT, andererseits wie etwas hätte gewesen sein können. Das ist dann, im Rahmen der Geschichte auch gültig. So hatte ich bei einer Erzählung die Möglichkeit mich von einem Freund, der gestorben ist, zu verabschieden, den ich vor seinem Tod (Autounfall) nicht mehr gesehen habe; es ist nur ein Absatz, dem Leser wird es nicht aufgefallen sein, eine flüchtige Begegnung, doch mir hat es viel bedeutet. Ich denke, Du verstehst, was ich meine. Es ist auch eine große Freiheit, die man dabei als Schreibender erfährt. Oder, ein anderes Beispiel, Du nimmst eine reale Situation, als Du in ein Flugzeug gestiegen bist, den Zug genommen hast und stellst Dir vor, was geschehen wäre, wenn Du es nicht getan hättest oder stattdessen einen anderen Zug, eine andere Abzweigung genommen hättest. So können Geschichten beginnen. Es sind dann Parallelwelten, die man schreibend erkundet, Möglichkeiten des eigenen Lebensweges, denen man nachgeht. Freilich kommt dann beim Schreiben noch etwas hinzu, man merkt, dass sich die Geschichte verselbstständigt – sonst taugt es nichts und ist nur leere Phantasterei. Probier‘s mal (falls Du‘s nicht schon hast) und schau ob‘s Dir liegt.

[Christian]

Soweit ich es beurteilen kann, ist die „FRElE“ Gesellschaft mit dieser Pandemie sehr gefordert und die wirtschaftlichen Konsequenzen für viele Kleinunternehmer sind nicht vorhersehbar. Peu à peu zerbrechen jetzt viele Existenzen. Die Lebensumstände verändern sich weltweit auf dramatische Weise.

Hier gibt es kein „Home-Office“, der Kontakt beschränkt sich auf Telefonate, eine Stunde Videotelefonie pro Woche und konventionellen Briefverkehr! Das GANZE ist einfach SCHLIMM! Hier sollte jeder gleichbehandelt werden, aber praktisch ist das nicht einfach umsetzbar.

[Alfred Goubran]

Auch hier „draußen“ ist im Moment mit den Gesetzen und Verordnungen das Absurde auf dem Vormarsch. Mal sehen, wo es uns hinführt. Ich weiß nicht, wie lange dieses „Projekt“ noch dauert, aber ich hoffe, dass wir uns auch, wenn es möglich ist, einmal wirklich sehen und ein Gespräch führen können.


Christian Ruck liest aus den Briefefn von Helmut, Karl-Severin und Kurt. Foto:
Corinna Klug
[Helmut]

Ja, eines meiner Probleme war immer wieder, nicht im Jetzt leben zu können. Immer wieder lenkte mich die Vergangenheit oder Zukunft so sehr ab, dass ich kaum Zeit hatte, den Augenblick im JETZT genießen zu können. Das gelingt mir schon etwas besser. Aber ich habe da immer wieder meine Probleme damit.

Obwohl ich sehr viel erlebt habe, konnte ich oft den Augenblick nicht genießen. Immer wieder tut es mir im Herzen weh, wenn ich daran denke, wie ich z. B. an der Copacabana in Rio am Strand war (1984) und nicht in der Lage war, diesen Augenblick intensiv zu erleben. Das ging mir oft so und der Grund war immer, dass ich ein ,,Getriebener“ war.

[Christoph Dolgan]

Dein ebenso schönes wie trauriges Bild vom nicht-gelebten Strand in Rio 1984 spukt übrigens seit Tagen in meinem Kopf herum: Vielleicht aus Angst, dass ich auch meinen Strand in Rio nicht gelebt habe. Und nicht einmal weiß, wo und wann er war…

[Helmut]

Als ich meine Biografie 2016–2017 fertig geschrieben habe (440 Seiten) bin ich jeden Tag um 4 Uhr früh aufgestanden und habe 2–3 Stunden an meinem Werk gearbeitet. Dilettantisch und literarisch ohne Anspruch, weil ich keine Ahnung habe vom Schreiben. Ich wollte meine Lebensgeschichte niederschreiben. Auch aus jetziger aktueller Sicht würde ich viele Beschreibungen anders formulieren und weniger ins Detail gehen. Es ist vieles unverständlich für einen normal denkenden Menschen. Ich war ein Getriebener, vieles habe ich auch übertrieben. Ich habe den Text überarbeitet. Da eine Biografie zur Wahrheit verpflichtet und strenge Regeln zu beachten sind, habe ich die Abläufe meines Lebens mit Hilfe der Gerichtsakten und Anklageschriften chronologisch verarbeitet.

[Christoph Dolgan]

Obwohl ich Autobiografisches in meinen Texten tunlichst zu vermeiden versuche, gibt man sich doch irgendwie intellektuell und emotional nackt preis. Vor allem wenn man sich dazu entscheidet, seine Texte auch zu publizieren.

[Helmut]

Ich schreibe mit Computer. Vieles schreibe ich auch per Hand. Mit 30 Jahren als ich zum ersten Mal im Gefängnis war, fing ich an intensiv zu schreiben und zu lesen. Seit ca. 10 Jahren schreibe ich jeden Tag in mein Tagebuch und halte fest, was so geschehen ist und was mich beschäftigt. Tagebuch schreiben ist mir eine liebe Gewohnheit geworden und ist eine Art Psychohygiene für mich.

[Christoph Dolgan]

Ich habe Tagebuchschreiber immer um ihre Schreibdisziplin beneidet. Habe es selbst gerade einmal geschafft, seit einigen Jahren abends jeden Tag mit einem einzigen Wort zusammenzufassen, also eine Art Ein-Wort-Tagebuch, und selbst da hinke ich manchmal den Tagen hinterher…

[Helmut]

Mittlerweile – seit ca. 10 Jahren – gelingt es mir immer besser, im Jetzt zu leben. Dadurch hat sich meine Lebensqualität verbessert. Trotz der Umstände und dem Umfeld, in dem ich seit 13 Jahren lebe, erlebe ich Tage, an denen es mir sehr gut geht und ich zufrieden mit meinem SEIN bin. Als ich von 1988 bis 1996 (davon 2,5 Jahre Untersuchungshaft) in Haft war und mein Getrieben-Sein durch die Verhaftung ein Ende fand, war ich befreit und hatte endlich Zeit nur für mich. Ich wurde ein ,,Suchender“. Ich fragte mich, wer bin ich? Wo finde ich Sinn für mein Leben? Und viele Fragen mehr … Ich begann zuerst Biografien zu lesen: Frankl, Dostojewski, Solschenizyn, Kant, Sokrates und unzählige mehr. Eines der ersten Bücher, die ich gelesen habe und die mein Leben nachhaltig verändert haben, war von Carnegie ,,Sorge dich nicht Lebe!“ […]. Das war der Beginn meiner Veränderung. Nach einer gewissen Zeit – ich hatte schon unzählige Bücher verschlungen – wurden die Seinsfragen mehr und mehr und die Antworten waren so unterschiedlich, dass ich mich überhaupt nicht mehr zurechtfand. Als ich dann die Bekenntnisse von Jean-Jacques Rousseau mehrmals gelesen hatte, begriff ich schlagartig, dass viele der großen Denker ein zerrissenes und moralisch sündhaftes Leben führten.

Die Zeit im Gefängnis ermöglicht es mir, mich mit vielen Themen zu beschäftigen und meine Zeit sinnvoll zu nutzen. Dieser Luxus an Zeit lädt ja direkt ein, sich dem Geistigen zu widmen. Es ist eine Zeit der Klausur.

[Christoph Dolgan]

Dass Bücher „Leben verändern“ können, habe ich zwar schon von mehreren Menschen gehört/gelesen, aber selbst habe ich diese Erfahrung nie gemacht, zumindest könnte ich mich nicht erinnern, dass ein Buch mich (mein „Wesen“, Handeln etc.) tatsächlich grundlegend gewandelt hat. Allenfalls haben sie mein Denken „modifiziert“.

[…]
[Helmut]

Nun zu Dingen, die noch auf meiner Vorhabenliste stehen. Ich möchte Dir einige wenige nennen: Ganz oben ist die Weiterentwicklung im IT-Sicherheitsbereich. Dann folgen diverse Bücher, die ich lesen und meinen Kommentar dazu abgeben werde. Dann werde ich die Kontakte und Reisen nach Brasilien wieder aufnehmen. Meine Liste ist derzeit 30 A4-Seiten lang. Dabei sind darin Strukturen und Vorahnungen genau beschrieben. Leider habe ich nur mehr 20 Jahre zu leben. Ich bräuchte noch 100 Jahre Lebenszeit, um das zu lernen, was mich interessiert und damit ich mich weiterentwickeln kann. Leider nur ein Wunschdenken!! Die Endlichkeit des Seins ist für jeden Menschen unabänderlich. Tatsächlich habe ich Prioritäten gesetzt. Diese werden vorrangig durchgeführt. Jede Art von Getriebenheit werde ich zu verhindern wissen und immer wieder reflektieren, was ich getan und gemacht habe. Das tue ich mittlerweile seit mehr als 10 Jahren.

[Christoph Dolgan]

Seltsamerweise bin ich nämlich tatsächlich ein To-Do-Listen-Mensch, nur dass diese Listen selten über mehrere Tage hinausgehen. Was wohl vor allem mit meinem Zugang zur bzw. meinem Umgang mit der Zeit zu tun hat: Meine Zeiteinheiten sind Stunden und Tage, damit kann ich umgehen. Alles, was über die Wochengrenze hinausgeht, wird mir eigentlich schon zu abstrakt. Das gilt auch für Vergangenes: Alles, was mehr als ein, zwei Monate zurückliegt, ist mehr oder weniger gegessen und abgehakt. Von daher habe ich auch weder privat noch beruflich einen Masterplan oder irgendwelche großen Meilensteine, die ich unbedingt noch erreichen will. Sicher gibt es Dinge, die mir – eher diffus – vorschweben, aber auf längere Sicht bin ich wohl eher der Drifter, der schaut, was kommt bzw. etappenmäßig vorgeht.

Glaubst Du tatsächlich, dass die Menschen (global) in der Lage sind, endlich diese Selbstgeißelung des permanenten Wachstumswahns zu überwinden? Die Menschen sind in meinen Augen schon seit Jahrzehnten nicht in der Lage, irgendeine alternative Gesellschaftsvision jenseits des Kapitalismus auch nur zu denken, geschweige denn zu realisieren. Und gerade jetzt habe ich den Eindruck, dass – wie schon nach der Finanzkrise – wieder nur an den alten, selbstzerstörerischen Strukturen festgehalten wird und diese wieder ganz genau so idiotisch restauriert werden.

[Helmut]

Ich bin zwar ein Optimist, aber auch ein Realist und sehe auch die positiven Folgen dieser Krisen. Der Mensch wird mehr in den Vordergrund treten, das Streben nach mehr Wachstum wird sich vermindern, die Umwelt wird mehr berücksichtigt und letztlich wird auch der Mensch wieder bescheidener werden und genügsamer in seinen Ansprüchen.


Politikwissenschaftlerin und Aktivistin in der Abschlussdiskussion.
Foto: Corinna Klug
[Sandra Gugić]

Ich will noch etwas aus der Zeit berichten, die wie eine Leerstelle hinter mir liegt und gleichzeitig noch sehr präsent ist. Während ich in den letzten Monaten mein Manuskript fertiggestellt habe, war die Welt rundherum ja auf ganz leise gestellt, die Straßen wie leergefegt, die Spielplätze gesperrt. Alles ungewohnte Bilder und Verhaltensweisen, die neu gelernt und verarbeitet werden mussten. Das Schreibleben oder das Schreiben bedingt diese innere Stille ohnehin, aber diesmal war das schon anders, weil nicht selbst gewählt. Und ein Ende nicht absehbar war. Eigentlich immer noch nicht ist. Es ist eigenartig, anderen zur Begrüßung nicht mehr die Hand zu reichen, immer Abstand zu halten, das Bild der Menschen mit Mund-Nasen-Schutz in den öffentlichen Verkehrsmitteln und Räumen. Was macht das mit uns? Und von überall die Frage: Wird diese Zeit unsere Gesellschaft verändern? Was denken Sie?

Zur KIC 9832227 / Roten Nova hab‘ ich folgendes ergoogelt:

Die Verschmelzung der beiden Sterne in einem sogenannten Mergerburst wurde zunächst für 2022 vorhergesagt. Das Ereignis sollte in dem Jahr von der Erde aus für Monate als Leuchtkräftige Rote Nova (LRNsichtbar werden. Neue Berechnungen unter Einbeziehung älterer Messungen aus dem Jahre 2003 widerlegten jedoch die Vorhersage. Zudem wurde ein Fehler in der Dokumentation eines Messpunkts aus 1999 aufgedeckt. Wann das Ereignis eintreten wird, ist damit wieder offen.

Vielleicht brauchen wir Termine, die wir uns gegenseitig setzen, um den schreibenden Austausch im Fluss zu halten? Ich werde in jedem Fall zusehen, wacher und mit mehr Kraft ins neue Jahr zu kommen. Also auch wieder mit mehr Schreibkraft, Erzählkraft. Vorhin erreichen mich folgende Zeilen von mir unbekannter Adresse per mail, die mich einladen will, Texte zu lesen: Lassen Sie sich ein auf ein paar Zeilen, es dauert nicht lange, es kostet nichts. Wir wollen mit unseren Texten die Schönheit zeigen, die im Alltäglichen liegt. Und die Abgründe, die hinter der vermeintlichen Idylle lauern. Unabhängig vom Kontext treffen diese Worte auch auf unseren Briefwechsel zu, oder?

[Karl]

Ich habe mich also immer und auch die ganze Haftzeit intensiv mit Astronomie beschäftigt. Als Anregung, wie interessant dieses Gebiet sein kann, dazu folgende Insider-Detailinfos: Vorab bemerkt, gibt es im Universum am meisten Doppelsternsysteme. Wesentlich seltener sind Sonnensysteme mit mehr als 2 Sonnen, oder mit nur einer Sonne im Zentrum, wie unseres. In einer Entfernung von 1 700 Lichtjahren haben die Astronomen ein Doppelsternsystem entdeckt (Katalognummer KIC 9832227), deren Sonnen so nah umeinander kreisen, dass sich schon ihre Gesamtatmosphären berühren und sie demnächst – laut wissenschaftlichen Berechnungen im Jahr 2022 – als Supernova explodieren werden.

Mit etwa 15 schrieb ich an meinem ersten utopischen Roman. Mehr als 50 handschriftliche A5-Seiten werden es kaum gewesen sein, bevor es mir zu kompliziert wurde, ich andere Interessen wichtiger fand und das literarische Schreiben für lange Zeit ad acta legte. Erst 1992 begann ich in Haft retrospektiv meine wenigen Klarträume, die ich 1967 mit 18 hatte, sowie meine zurückgekehrten luziden Träume, zunächst mit Bleistift in ein A4-Heft zu schreiben. Nachdem ich mir 2 Jahre später einen PC anschaffen durfte, übertrug ich meine Eintragungen aus dem „Klar-Träume-Heft“ auf Diskette und Festplatte. Danach oder nebenbei brach auch meine poetische Ader wieder durch und ich schrieb, angefacht durch meine besch… Situation, Gedicht um Gedicht über Schuld und Sühne, Haft und Justiz, sowie therapeutische Texte und essenzielle Teile meiner Autobiographie.

Wenn Nebel sich lichten, erkennst du die Wahrheit
Das Leiden der Opfer, es schnürt dir die Kehle
Die vergehenden Jahre, sie brachten dir Klarheit
Trink tapfer den Kelch nun, den Saft deiner Seele

1.12.12 by K (inspiriert durch G. Danzer)

Einen kleinen Quantensprung Richtung Draußenwelt, mit den digitalen Veränderungen, hatte ich am 22. April 2020, als ich erstmalig mittels Skype-Videotelefonie ein Therapiegespräch mit meinem Psychotherapeuten hatte. Nun kann ich gut nachempfinden, dass Sie Ihre Videochats ganz schön und nicht unwitzig finden.

Vielen Dank zur Googelung von KIC 9832227 / Rote Nova! – Warten wir’s also ab, wann wir von dem Himmelsschauspiel überrascht werden?!

[…]

Mittlerweile hat sich meine Sicht auf die Welt, speziell auf die Realität, die sich meiner Wahrnehmung nach bisher selbstverständlich und unhinterfragt als wahr und logisch darstellte, aufgrund tagelanger und permanent anhaltender Trugbilder, ganz schön relativiert. Ich war mir danach noch zwei, drei Tage unsicher, ob ich mich jetzt wirklich im realen Umweltgeschehen befinde, oder ob alles nur klartraumhafte flüchtige Interpretationen meines Gehirns sind.

Als ich nun Ihren Brief Nr. 5 erhielt, freute ich mich auch deshalb besonders, weil er eine erwünschte Bestätigung für die Tatsächlichkeit meiner erlebten Erinnerungen war, der mir vertraute Sicherheit durch bewiesene Beständigkeit von willkommenen Ereignissen belegte.

Wann Sie diesen dritten Brief erhalten werden, steht wohl, wie so Vieles derzeit in den Sternen?! Ich vermute aber doch irgendwann im Wonnemonat Mai.

Der „wORTwechsel“ mit Ihnen tut mir auch sehr gut, nicht nur weil die eigenartige Schreibweise mir impliziert, bald den ersehnten Ortswechsel nach Wien zu erleben; er fördert ja auch meine Gedankenreisen und die Freude einen Menschen zum Gedankenaustausch gefunden zu haben.


Alfred Goubran liest aus seinen Briefwechseln mit Christian und Karl-Severin.
Foto: Corinna Klug
[Karl-Severin]

lch habe zu meinem sechsten Geburtstag ein Lexikon geschenkt bekommen, welches meine weiteren Lesegewohnheiten doch sehr beeinflusst hat. So habe ich fortan sämtliche Nachschlagewerke und Atlanten mit Landkarten verschlungen. Mein Hauptaugenmerk blieb allerdings auf der Mathematik, dem einzigen naturwissenschaftlichen Gebiet mit unabänderlichen Regeln.

Seit der Inhaftierung habe ich Zeit im Übermaß zur Verfügung und wie könnte man diese besser nutzen als mit Lesen und Schreiben […]. Ich habe mich hingesetzt und begonnen meinen ersten Roman zu schreiben. Dazu bediente ich mich der Grundzüge jenes Projekts, welches ich schon in den Jahren zuvor in Gedanken begonnen hatte, wozu mir aber stets die Zeit und die richtige Motivation fehlten. ln exakt sechs Wochen war mein Erstlingswerk fertig. Handschriftlich zumindest! Es kostete mich exakt neun Monate, dieses Werk auf den PC zu übertragen, weil ich nur eine Stunde täglich Zeit hatte, den Computer in der Anstaltsbibliothek nutzen zu dürfen. Anfang 2016 habe ich dieses Werk dann unter den großen Schwierigkeiten, welche eine Haft mit sich bringt, veröffentlicht. Unter dem Titel „ Detektiv wider Willen – Der Mordanschlag“ und dem nahe liegenden Pseudonym „Carlo di Professore“ (Karl, der Lehrer) habe ich es bei books on demand selbst verlegt. Der Erfolg ohne entsprechende Promotion war eher gering. Einzig ein äußerst positiver Bericht in einer periodisch erscheinenden Zeitung bescherte mir kurzfristig sehr angenehme Verkaufszahlen. […]

[Alfred Goubran]

Das Schöne an dieser langsamen Korrespondenz ist, dass man den Brief auch ein zweites oder drittes Mal zur Hand nimmt und ich muss schon sagen: Ich bin sehr erstaunt über Deinen Brief, sowohl was die Form, den Stil und die Geordnetheit der Gedanken betrifft. […] Also mit einem Wort: Das hat alles Hand und Fuß und Deine Grundhaltung – ich weiß ja nicht, ob man sich das aussuchen kann – nichts ungeprüft zu übernehmen, ist mir grundsympathisch. Es ist das Bestehen auf das Eigene und ich habe nie verstanden, wo man doch nur ein Leben hat, warum die meisten Menschen sich so gern dem Fremden überlassen, den Meinungen und Überzeugungen, den Dogmen und Lehrsätzen. Und ehrlich gesagt: Ich will es gar nicht wissen. Deine Überlegungen bezüglich Deiner Romane finde ich klug und richtig. […]

Ich selbst bin ja kein sehr intellektueller Mensch, wobei ich das Intellektuelle vom Geistigen (und auch vom Vernünftigen) unterscheide. Das Intellektuelle ist für mich reine Funktion, Ausübung, räumlich bedingte Gedankentätigkeit. Die ist mehr oder weniger effizient, aber das ist für mich kein Kriterium – auch gemessen daran wie und was ich schreiben will und meinem Verhältnis zur Sprache. Für die Dichtung ist der Intellekt nicht ausschlaggebend – hier zählt anderes.

Traurig – und ein wenig wütend – hat mich bei deiner Erzählung darüber, wie Du Deinen ersten Roman geschrieben hast, die Tatsache gemacht, dass Dir nur eine Stunde am Tag der Computer zur Verfügung stand. Das sind dann so Realitäten, die ziehen mir kurzfristig den Boden unter den Füßen weg … bei all dem, was einem so selbstverständlich ist.

[Karl-Severin]

So – nun ist es wieder soweit und Lockdown Nummer Zwei hat uns fest im Griff. Für uns hier drinnen fällt dies vermutlich weniger schlimm aus als für die Leute in Freiheit. Bei uns bleibt diesmal die Möglichkeit zu arbeiten weiter bestehen, nicht wie vor sieben Monaten, als für fast zwei Monate alle „unwichtigen Betriebe“ geschlossen wurden. Ja und da ich in der Bibliothek arbeite, war dies der erste Betrieb, auf den man verzichten konnte. Da ich regelmäßigen telefonischen Kontakt zu meinen Söhnen halte, ist mir wohl bewusst, dass diese, wie auch alle ihre Freunde und Bekannten unter dem neuerlichen Verhängen einer strikten Ausgangssperre deutlich mehr zu leiden haben.

Wie froh bin ich, dass ich nun endlich wieder voll genesen bin und letztendlich sogar geistig wie auch körperlich bei 110 Prozent angelangt bin. Warum 110 Prozent? Na, weil ich erstmals den Rubik-Zauberwürfel ohne Hilfe und Anleitung geschafft habe.

[Alfred Goubran]

Es ist ja eine sehr trübe Zeit und da ist mir erst aufgefallen was für ein positiver Mensch Du bist, Dein Brief hat mich sehr, sehr gefreut und auch ein wenig aufgebaut. Nicht, dass ich extrem unter der Zeit leide, aber ich bin etwas erschöpft, nachdem ich die Biographie und noch ein zweites Buch (eine Überarbeitung) abgegeben habe; und auch etwas planlos, der Natur der Zeit entsprechend. Die „Künstlerversorgung“ durch die zuständigen Stellen läuft ja erstaunlich gut, was vielleicht auch mit ein Grund ist, dass aus dieser Ecke kaum kritische Stimmen zu vernehmen sind. Es ändert sich viel im Moment, ich orte einen schleichenden Umbruch und eine Umverteilung, als würden irgendwo die Karten neu gemischt und ich glaub nicht, dass die Welt nach den Lockdowns (falls das wirklich einmal ein Ende hat) dieselbe sein wird. In welche Richtung lässt sich schwer sagen, doch sind die Veränderungen umfassend und weltweit.

[Karl-Severin]

lch liebe es nach Fehlern zu suchen. So suche ich in einem Rätselbild mit angegebenen fünf Fehlern stets nach dem sechsten und freue mich wie ein Kind, wenn ich tatsächlich einen finde. So fallen mir auch sämtliche Ungereimtheiten in Musikvideos und Filmen auf – wenn die Sängerin beispielsweise auf der Hälfte der Videosequenzen rosarote Handschuhe trägt und auf den anderen bloß nackte Hände zu sehen sind. Oder dass beim „Freibeuter der Meere“, angesiedelt vor mehreren hundert Jahren, plötzlich im Hintergrund ein Kreuzfahrtschiff neuester Bauart durchs Bild fährt. Dieselbe Genauigkeit lege ich aber auch bei meinen Romanen an den Tag. Da darf mir auf keinen Fall so ein Fauxpas passieren. Da wird alles bis ins kleinste Detail recherchiert.

Was mir allerdings hier drinnen sehr fehlt: das Internet, der Zugang zu sämtlichen Informationen. So muss ich mir mit Wikipedia und dem Folgewerk WikiTaxi, dem – wie ich immer sage – „Google für Arme“ helfen.

Es gibt noch unzählige weitere Romanprojekte, die zwar in groben Zügen in meinem Kopf schon stehen, aber noch nicht den Weg aufs Papier gefunden haben. Dies behalte ich mir für die Zeit nach meiner Haft auf.

[Alfred Goubran]

Der Lockdown ist auch hier „draußen“ eine zunehmend strapazierende Angelegenheit. Man merkt es an Kleinigkeiten, einer Lethargie und manchmal auch Wut bei den Leuten. Wo das hinführt, kann freilich niemand sagen. Ich bin manchmal besorgt, meist jedoch neugierig – aber, soviel steht fest – es ist keine gute Zeit Pläne zu machen. So leben die meisten in den Tag hinein, von Heute auf Morgen, und hoffen, dass sich alles zum Guten wendet. Und das wünsche ich auch Dir und hoffe bald wieder einen Brief von Dir zu erhalten.

[Karl-Severin]

Die Lethargie, welche Du ansprichst, die gibt es auch hier drinnen, nur ist diese nicht durch Covid-19 verursacht. Diese hat hier sowieso den Großteil aller Häftlinge erfasst, die meisten warten nur darauf, dass ihre Haftzeit vorübergeht. So teilen sich diese Leute in mehrere Gruppen auf: Gruppe A versucht die Haftzeit zu ,,verschlafen“ indem sie sich immer größere Mengen an Psychopharmaka verschreiben lässt und nur mehr zum Einnehmen der Mahlzeiten aus dem Bett begibt; Gruppe B verfällt dem Spielwahnsinn und verbringt jede freie Minute an der PS2 – der Playstation 2, der einzig erlaubten Spielkonsole in der Karlau; Gruppe 3 versucht seinen Körper zu stählern und stemmt täglich unzählige Gewichte – diese Leute kommen an keinem Spiegel mehr vorbei, ohne davor in Muskel-Pose zu verfallen; wenn man bedenkt, dass gerade diese Leute wegen Gewaltdelikten einsitzen ist es sicher von „Vorteil“, wenn sie über zusätzliche Kraft verfügen.


Abschlussdiskussion – v.l.n.r.: Alred Goubran, Christoph Dolgan, Monika Mokre, Stephanie Liebmann, Josef Mock, Anton Christian Glatz, Simone Philipp.
Foto: Corinna Klug
[Christoph Dolgan]

… womit beginnen? Die letzten Briefe waren thematisch ja recht bunt … Am besten mit dem leidigen Corona-Thema, damit das abgehakt ist.

In Bezug auf das Schreiben bin ich nämlich kindisch abergläubisch. (Nie würde ich etwa über Texte sprechen, an denen ich gerade arbeite, aus Angst, sie dann nicht fertigschreiben zu können. Warum immer …)

[Martin]

Während des Schreibens an einer Geschichte habe ich oft die Idee zu einer ganz anderen. Ich denke gleichzeitig über beide Geschichten nach, was im Endeffekt dazu führt, auch beide gleichzeitig zu schreiben. Aktuell arbeite ich tatsächlich an vier Geschichten. An jeweils zwei davon so gut wie gleichzeitig.

Ja, zwei (fast) fertige Bücher. Allerdings ist das nicht wirklich etwas Besonderes. Wenn man bedenkt, dass man hier Zeit hat, die man draußen nicht wirklich hat. Draußen muss man sich selbst einsperren, um so etwas zu fabrizieren. Hier ist man schon fast dazu gezwungen. Wenn man eine Geschichte im Kopf hat, dann möchte man sie auch irgendwie zu Papier bzw. in den Monitor bringen.

[Christoph Dolgan]

Es stimmt wohl, dass viel Zeit und das Fehlen von alternativen Möglichkeiten, einen dazu „zwingen“, sich dem Schreiben zu widmen. Aber funktioniert das wirklich? Ich habe den Eindruck, dass ich gerade dann, wenn ich eigentlich mehr Zeit und Luft zum Schreiben hätte, überhaupt nichts (oder nur sehr wenig) zustande bringe.

Ich muss ja gestehen, dass ich im Hinblick auf das Schreiben wohl zu den „Krisengewinnlern“ zähle, da ich aufgrund der langen Kurzarbeitsphasen sehr viel Zeit dazu hatte. Und diese auch wirklich ganz gut genützt habe: Zumindest rein quantitativ habe ich noch in keinem anderen Jahr davor so viel geschrieben. Na, mal schauen, ob irgendwas davon auch brauchbar sein wird…

[Martin]

Wie wir zurzeit über Lockdowns sprechen, ist nicht nur befremdlich, sondern auch irgendwie beängstigend. Unweigerlich fühle ich mich an ein Szenario wie in Orwells 1984 oder ein Land wie Vendetta erinnert. Ein Land, in dem totale Kontrolle herrscht und irgendwie sind wir am besten Weg dorthin. Die Bevölkerung ist in vielen kleinen Schritten auf so eine Situation vorbereitet worden. Noch zwei oder drei Lockdowns mehr, steigende Todeszahlen, und man kann den Österreichern so gut wie alles verkaufen. Auch totale Überwachung. Was hat die Pandemie mit den Kameras zu tun? Es wird unterschwellig Angst geschürt. Angst vor Übergriffen.

… ja, wie beginnen? Das Corona-Thema wird noch länger allgegenwärtig sein und uns alle beschäftigen. Deshalb kann man immer darüber schreiben, auch wenn es mittlerweile recht langweilig ist.

Mein Fantasy-Text existiert schon in vollständiger Form… allerdings nur in meinem Kopf. Da habe ich mehr oder weniger drei Bände (warum sind es eigentlich immer Trilogien?). Auf Papier bzw. in Bits und Bytes gibt es davon nicht einmal einen einzigen Satz.

Normalerweise schreibe ich eigentlich munter drauf los. Dass es gerade hier anders ist, kommt davon, dass es tatsächlich eine etwas komplexere Geschichte ist. Eigentlich Zukunft, aber halt eine Gesellschaft wie im Mittelalter … mit einigen Überbleibsel (Wolkenkratzer, Ruinen, Straßentunnel etc.) aus der Vergangenheit, die allerdings im Verbogenen liegen.

[Christoph Dolgan]

Jedenfalls sehr gut nachvollziehen kann ich Deine Faszination für Trilogien. Ich habe da überhaupt eine gewisse Besessenheit von der Zahl Drei, die sich (wenn ich nicht bewusst gegensteuere) selbst in der Grammatik niederschlägt: Wenn ich Beispiele anführe, dann immer drei, wenn ich Adjektive verwende, dann meistens drei etc. (Und ich belasse es jetzt natürlich bei zwei Beispielen.) Über eine wirkliche Trilogie werde ich mich aber wohl nie darüber trauen …

Auch ich denke, wie Du schreibst, dass ein Grund dafür sicher im bewussten Spiel mit der Angst und diversen Angstszenarien in der Politik und in den Medien liegt. Es setzt eine immer stärker steigende Entmündigung durch die Politik ein – und das ständig „im Interesse unserer Sicherheit“. Ich kann das echt nicht mehr hören: Diese ganze safe-space-Mentalität (auf ganz unterschiedlichen Ebenen) finde ich längst nur noch schrecklich und in seiner (selbst)entmündigenden Form auch ziemlich menschenunwürdig. Ganz abgesehen davon, dass bis auf die Zähne bewaffnete Uniformträger mein Sicherheitsgefühl ganz und gar nicht erhöhen, sondern im Gegenteil, Angst schüren. Die zwei Schlüsse, die ich aus den letzten Wochen und Monaten gezogen habe, sind jedenfalls einerseits, dass denjenigen, die noch immer nicht Misanthropen geworden sind, einfach nicht zu helfen ist. Und anderseits: Hätte irgendjemand die letzten fünf Jahre vorweg in einem Roman exakt nach der Wirklichkeit beschrieben, hätte jeder Verlagslektor das Buch ablehnen müssen, weil es zu krud stereotyp gewesen wäre…

[Martin]

Corona und kein Ende … LOL! Natürlich, eigentlich sollte oder darf man keine Witze darüber machen, aber irgendwie muss man sich in solchen Zeiten ja beschäftigen.

Ich schreibe gerne mit einem bestimmten „Unterton“ bzw. etwas sarkastisch oder humoristisch angehaucht.

Ich versuche ein wenig Sarkasmus in jedes Schreiben miteinzubinden. Der Alltag hier ist meistens düster. Ich denke, dass Viele hier lieber mit Sarkasmus auf bestimmte Entscheidungen blicken, um etwas zu überspielen oder auch zu unterdrücken, das in ihnen keimt. Wenn ich mir hier meinen Humor nicht erhalten hätte, dann… keine Ahnung.

[Christoph Dolgan]

Humor als eine Waffe gegen den düsteren Alltag scheint mir nachvollziehbar. Und mitunter habe ich auch den Eindruck, dass gerade humoristisch gebrochene Texte oft „weiter“ gehen (dürfen) als andere: Vor allem bei den Krimis von Wolf Haas (und speziell bei den Verfilmungen) habe ich den Eindruck, dass er etwa im Hinblick auf Brutalität und Gewalt sehr viel Härteres abliefert, als humorlose Autoren, und dass ihm das eben nur darum möglich ist, weil er es humorvoll schreibt …

Ich habe mir immer sehr, sehr schwergetan, Zugang zu humorvollen Texten zu finden. (Ich weiß nicht warum, aber sobald ich mich an ein Buch setzte, schaltet sich mein Humorzentrum irgendwie aus – mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen.)

Weil es gerade wieder der Fall ist: Irgendwie habe ich beim Briefschreiben ständig den Drang, Emoticons und anderen Internetsprech einzubauen. Was ich deshalb seltsam finde, weil ich diese in SMS und E-Mails nur selten – und auch nur in der klassischen Form von Satzzeichen – verwende. Aber scheinbar hat das meine Sprachgewohnheit schon völlig durchdrungen.

[Martin]

Ich schreibe grundsätzlich, wenn ich allein bin. Da kann ich besser nachdenken. Im Workshop schreibe ich gar nicht, hole mir aber Inspirationen. Am besten ist es für mich dann, wenn alles um mich herum dunkel ist und ich dabei leise Musik höre. Dann geht das Schreiben wie von allein.

Übrigens, das mit den Emoticons kenne ich sehr gut. Erwische mich selbst auch immer dabei, dass ich beim Durchlesen eines Briefes die Emoticons heraus löschen muss.

[Christoph Dolgan]

Spannend, dass Du während des Schreibens Musik hörst. Lenkt Dich das nicht zu sehr ab? Ich höre – um in Stimmung zu kommen – vor dem Schreiben eigentlich immer Musik, währenddessen würde mich das aber verrückt machen.

[Martin]

Ob wir daraus etwas gelernt haben, lässt sich jetzt noch nicht wirklich sagen. Allerdings glaube ich nicht, dass die Menschheit dazulernen kann. Das hat sie schon seit tausenden von Jahren nicht und wird es auch jetzt nicht. Unzählige Katastrophen, Kriege etc. haben es den Menschen nicht beibringen können. […] Tschernobyl hat uns gezeigt, dass jede von Menschen geschaffene Technik auch mal versagen kann. Dennoch interessiert uns das offensichtlich herzlich wenig. Wir zerstören weiterhin die Umwelt und bringen jede Form von Ökosystem vollkommen durcheinander. […] Die Menschheit hat noch nie aus ihren Fehlern gelernt und wird es auch nicht.


[Sandra Gugić]

Die Düsternis ihrer Umgebung beschreiben Sie in eindringlichen Worten, und dennoch scheint in Ihrer Haltung Optimismus zu sein, wie sich am Schluss des Briefes zeigt. Auch in der Rolle des Erzählers als Kind im Schlafsaal haben Sie mit ihren Geschichten die anderen Kinder bestimmt für eine Weile in die Welt ihrer Fantasie entführen können und den anderen so Hoffnung schenken können. Haben Sie eine von diesen Geschichten später auch aufgeschrieben?

Sie fragen, dürfen wir uns sicher fühlen? Wir sollten auf jeden Fall uns selbst und anderen gegenüber solidarisch und sozial verhalten, einander Sicherheit geben soweit das möglich ist. Was eben zu beeinflussen ist. Aber die eigenen Möglichkeiten sollten auch nicht unterschätzt werden. Das Private ist nicht wenig politisch, auch die Entscheidungen die wir tagtäglich treffen im sozialen Umgang sind es.

[Kurt]

Vielleicht mache ich mir, wie meistens, zu viele Gedanken. Ihr Brief erreicht mich, wie ein Sonnenstrahl, an einem zutiefst düsteren Ort. Düster im eigentlichen und übertragenen Sinn. Immerwährende Dunkelheit, das Schlagen von schweren Eisentüren, Geräuschen die kaum als menschlich zu erkennen sind. Ein Quieken und Schreien, in dieser herzenskalten Atmosphäre, dass man an einen Schlachthof denken möchte.

Die Kunst der Malerei war seit meiner frühesten Kindheit mein Lebensinhalt. Schreiben lernte ich schon mit vier, dank den Bemühungen meiner Mutter. Doch viel Zeit, meine Begabungen zu entwickeln, blieb mir nicht. Mit sieben begann mein Weg durch diverse Heime und Erziehungsanstalten. Dort wurde ich unter den Kindern als Erzähler beliebt. Abends, wenn wir in den Betten lagen, und manche von uns vor Heimweh kaum einschlafen konnten, erfand ich aus dem Stegreif Geschichten. Geschichten von Raumfahrern und uralten Raumschiffen mit Cowboys an Bord. Oder Floßfahrten über einen wilden Fluss, zu einer geheimnisvollen Maschinenstadt. Mit leiser Stimme gab ich solcherart im Schlafsaal zum Besten. Das war wohl der Beginn meiner literarischen Laufbahn.

Mich interessiert (eigentlich alles): Wie Sie leben und ob Ihr Umfeld ein wichtiger Faktor für Ihre Arbeit ist. Gibt es spezielle Plätze, an denen Sie besonders gut arbeiten können? Ich habe hier leider keinerlei Möglichkeiten, aber früher saß ich gerne im Glashaus in unserem Garten. Es war groß genug und immer schön warm. Mit kalten Fingern schreiben ist mir zunehmend unangenehm. Nur nie alles hinschmeißen. Keine Zweifel, keine Angst. Zuletzt wird alles gut.

Bild und Text: Kurt