Johanna Stadlbauer ◄
Am 8. März – und im ganzen März 2023 – feiern wir in Graz und der Steiermark unter dem Motto „Schluss mit dem Patriarchat“ die feministische Solidarität. Ein Blick in den englischsprachigen Raum kann zeigen, wie wichtig Solidarität über vermeintlich verschiedene Interessen und Identitäten hinweg ist.
Das eigene Leben als politischer Spielball
Das schottische Parlament und die Regierung des Vereinigten Königreichs in Westminster befinden sich aktuell in einem Konflikt von verfassungsrechtlichen Dimensionen. Anlass ist die Gender Recognition Reform Bill, die im Dezember 2022 nach sechs Jahren Arbeit vom schottischen Parlament beschlossen wurde. In einem Teil des Vereinigten Königreichs würde damit Selbstdeklaration statt psychiatrischem Gutachten gelten, wenn Transpersonen die Ausfertigung eines „Gender Recognition Certificate“ im Identitätsgeschlecht beantragen. Die Regierung in Westminster hat im Jänner 2023 in einem noch nie da gewesenen Schritt das Gesetz blockiert. Die Gesetzgebung in Schottland könne, so steht es in der offiziellen Erklärung der Regierung, das im gesamten Vereinigten Königreich geltende Gleichstellungsgesetz negativ beeinflussen. Unter anderem bestünde das Risiko, dass Personen in böswilliger Absicht ein solches Zertifikat beantragen und Frauen sich in „single-sex spaces“ nicht mehr wohl fühlen. Die Reform, die Schottland in Einklang mit Empfehlungen der UN und mit der Rechtspraxis in 30 anderen Ländern bringen würde, tritt derzeit also nicht in Kraft.
Nach Einschätzung vieler Expert:innen interagieren die beiden Gesetze nicht. Das Motiv des Widerspruches zwischen Frauenrechten und den Rechten von Transpersonen, das anlässlich der GRC Reform Bill bedient wird, ist aber ein wiederkehrendes. Und es lässt sich politisch instrumentalisieren. Im konkreten Fall können zwei politische Parteien damit ihre kurzfristigen Interessen befriedigen: Die SNP hat durch dieses historisch einmalige Handeln von Westminster ein weiteres Argument für ihre Kampagne für Scottish Independence bekommen, ganz unabhängig vom Diskussionsgegenstand. Die konservativen Tories können ihren Wähler:innen zeigen, dass sie sich SNP-Ministerin Nicola Sturgeon entgegenstellen und sich zugleich als „Frauenschutzpartei“ inszenieren. Währenddessen steigt nachweislich das Risiko für Transpersonen, in ihrem Alltag Zielscheibe gewalttätiger Angriffe zu werden, wenn sie jahrelang Gegenstand hitziger öffentlicher Debatten sind. In den Worten der LGBTQ+-Organisation Stonewall vom 16. Jänner: „(…) the Prime Minister has allowed trans people’s lives to be used as a political football“.
Ablenkungsmanöver, die Patriarchat und Kapitalismus stärken
Das Motiv des Widerspruchs von Rechten ist ein Versuch, patriarchale Machterhaltung abzusichern. Solche Ablenkungsmanöver binden viel Engagement und Kraft zivilgesellschaftlicher Akteur:innen. Diejenigen, die an der Absicherung des Status Quo und am Erhalt ihrer Privilegien arbeiten, können indes ungestört Abtreibungsrechte beschneiden, Verhütungsmittel verbieten, Pensionsantrittsalter erhöhen oder das Gesundheitssystem weiter privatisieren.
Cis-Frauen wird es nicht besser gehen, wenn Transfrauen weiterhin bürokratischen Hürden und Angriffen im öffentlichen und häuslichen Bereich ausgesetzt sind und sie sich medizinischen Autoritäten unterordnen müssen. Blockaden und Rückschritte für eine kleine Gruppe von Betroffenen sind Rückschritte für alle. Gewinne im Bereich von Minderheitenrechten sind allerdings Gewinne für alle.
Die feministische Bewegung profitiert vom Engagement von Transpersonen
Wenn marginalisierte Gruppen für ihre eigenen Rechte kämpfen und gewinnen, sind sie nie die einzigen, die profitieren. Beispielsweise kam der oberste Gerichtshof in den USA durch das Engagement von Trans-Aktivist:innen zur Entscheidung, dass es für Arbeitgeber:innen illegal ist, Menschen zu entlassen, weil sie homosexuell oder trans sind. Diese Auslegung des Gesetzes gegen „discrimination on the basis of sex“ ist ein Sieg für alle, die im Arbeitsleben diskriminiert werden. Das Engagement von Transpersonen befruchtet gegenwärtig die feministischen Kämpfe für Antirassismus, Migrant:innenrechte, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Datenschutz, Arbeiternehmer:innenschutz, Entkriminalisierung von Sexarbeit oder für das Recht auf Wohnen. Das gilt es anzuerkennen: Personen, die gesellschaftlich prekär positioniert sind, erreichen durch ihren Aktivismus ein besseres Leben für eine große Gruppe von Menschen. Wenn der Alltag für Transpersonen einfacher wird, gewinnen wir alle mehr Möglichkeiten, das zu tun, was wir brauchen, um uns in unseren Körpern heimisch zu fühlen, uns selbstbestimmt mit unserer Identität und ihrem äußeren Ausdruck auseinanderzusetzen, adäquate Gesundheits-Fürsorge zu bekommen und den öffentlichen Raum selbstverständlich zu nutzen.
Kämpfen für das, was uns scheinbar nicht unmittelbar betrifft
Emanzipatorische Politik beinhaltet, die Kämpfe anderer mitzutragen, auch wenn sie eine:n selbst vermeintlich nicht unmittelbar betreffen. Und sie beinhaltet, sich mit eigenen Privilegien auseinandersetzen. Das kann heißen, dass Cis-Frauen aufstehen, wenn es Angriffe gegen Transfrauen gibt. Es kann heißen, dass Männer ihre Verantwortung in der Prävention von Femiziden übernehmen. Es kann heißen, dass wir internationale Netzwerke bilden und unsere Ressourcen teilen, um feministische Kämpfe überall auf der Welt am Leben zu halten.
In der schottischen Hauptstadt gibt es am 8. März eine Demo, Performances und Musik-Events. Im feministischen Kollektiv „International Women‘s Strike Edinburgh“ arbeiten Frauen, trans und cis, sowie nichtbinäre und genderqueere Personen gemeinsam an der Planung. Sie haben das 8M Femifesto publiziert, es ist „for every person who has been marginalised or disadvantaged by the patriarchy and wants to say ENOUGH!!! and who wants to TAKE A STAND!!!“
In Graz gehen am 8. März 2023 Tausende gemeinsam demonstrieren, obwohl sie in unterschiedlichen Vierteln wohnen, ihre Erstsprachen und Geburtsjahre vielfältig sind, sich ihre gesundheitlichen Bedürfnisse, Beziehungs- und Familienformen und finanziellen Möglichkeiten stark unterscheiden. Das feministische Wir sind alle, die den Feminismus brauchen. In den Worten des 8M Femifesto: „8th of March is ours: international, intersectional and activist.“