„graffiti is not a crime!“

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Eva Ursprung, Joachim Hainzl ◄

„Let’s fill this world with artists!“

Foto: Joachim Hainzl
Foto: Joachim Hainzl

Die aktuelle Situation einer Pandemie, in der Prioritäten und Wertigkeiten gesetzt werden, zeitigt auch Einblicke in die Wertigkeit von Kunst und der gesellschaftlichen Bedeutung von Künstler_innen. Wenn Präsentationen in Ausstellungsräumen nicht möglich sind, warum dann nicht den öffentlichen Raum zur Galerie machen? So wie jene Streetartists, die das, wie in vielen Städten der Welt, auch in Graz bereits seit Jahrzehnten praktizieren.

Foto: Joachim Hainzl

Eine Auswahl selbstreferenzieller Beschriftungen und Besprühungen in Graz ist als Teil der Sammlung im Rahmen des Projekts „Uncurated“ in der gleichnamigen Publikation dokumentiert. (1)

Foto: Joachim Hainzl

Ist das Kunst oder kann das …?

Im Zuge der unbarmherzigen Stadtbehübschung wird es in Graz zunehmend schwieriger, Kunst in den öffentlichen Raum zu bringen. Die Freiräume schwinden, und in den wenigen verbleibenden wird es immer mühsamer, sich durch den Vorschriftendschungel zu kämpfen.

So sind auch kaum legale Flächen für Graffiti vorhanden, Auftragsarbeiten sind rar.

Foto: Joachim Hainzl

Umso wertvoller sind Initiativen wie jene in der Puchstraße, wo die städtische Firma Saubermacher eine Gebäudewand entlang des Murradweges Graffiti-Künstler*innen zur Verfügung stellt.

Foto: Eva Ursprung

Diese befindet sich im ständigen Wandel, beinahe wöchentlich wird übermalt und der Ehrenkodex der Writer*innen und Maler*innen ist kaum noch einlösbar: Übermale niemals ein Bild, das besser ist, als dein eigenes.

Kritische Inhalte findet man hier jedoch kaum: die kunstvollen Writings sind nur für Insider*innen entschlüsselbar, oft handelt es sich lediglich um die Namen der Artists, im „Kleingedruckten“ finden sich auch Seitenhiebe auf konkurrierende Kolleg*innen. Die Ästhetik, der Style stehen im Vordergrund.

Foto: Eva Ursprung

Dasselbe gilt für die Fassaden der Taggerfutterwerke, die durch ein Street Art Festival in Kooperation mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark zu einer unübersehbaren Landmark geworden sind.

Botschaften und geheime Zeichen

Sprüche wie das Kürzel ACAB findet man nicht auf den legalen Flächen, will man es sich doch nicht mit den Eigentümer*innen verderben. Sie tauchen jedoch gleich nebenan auf, an illegal bemalten Mauern.

Foto: Eva Ursprung
Foto: Eva Ursprung

Meist sind sie nicht so kunstvoll ausgeführt, sind manchmal eher „hingeschmiert“, geben aber besser Aufschluss über die Befindlichkeit einiger Bevölkerungssegmente der Stadt, die ansonsten kein Forum haben.

Foto: Eva Ursprung

Manche, wie die Schrift „NORMAL, NORMALISIEREN, NORMIEREN“ auf einem Gemeindebau der Triestersiedlung, überstehen die Jahre und sind bereits mehrfach publiziert, andere verschwinden fast schneller, als man sie dokumentieren kann, so zum Beispiel der Satz „FREE ALL PRISONERS!“ an der Gefängnismauer der Strafvollzugsanstalt Karlau.

Foto: Eva Ursprung

Keine konkrete Botschaft liefert eine künstlerische Arbeit an der Mauer desselben Gefängnisses Richtung Triesterstraße, die hier schon seit 2013 bestehen darf: das „OPUS MAGNUM 13“ von Viktor Kröll ist eine abstrakte Wandzeichnung aus unzähligen Punkten, die von Freigängern der Haftanstalt mitgestaltet wurden – auch das ein Projekt des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum, welches 2018 in Kooperation mit Nicole Pruckermayrs Projekt COMRADE CONRADE (2) die Leuchtschrift „WAR IS OVER“ von Eva Ursprung produzierte.

Foto: Eva Ursprung

Das Statement von Eva Ursprung bezieht sich auf eine Antikriegs-Kampagne von John Lennon und Yoko Ono im Jahr 1969: „WAR IS OVER! IF YOU WANT IT. Happy Christmas from John & Yoko“. Die Neonschrift durfte aufgrund der aktuellen Gesetzeslage nicht an die Straße und fand für einige Wochen Unterkunft an der Fassade der Wacmusic-Proberäume am ehemaligen Areal der ÖBB neben dem Ostbahnhof.

Fresken und Petroglyphen

Seit jeher hinterlassen Menschen Zeichen an der Wand. Die ältesten erhaltenen Petroglyphen (Gravierungen in Stein) wurden in einer Höhle in Gibraltar gefunden und werden auf mindestens 39.000 Jahre datiert.

Unsere Zeit ist schnelllebiger, die Worte der Writer wechseln wie die Werbeplakate der Firmen, die Codes bleiben jedoch über die Jahre hinweg recht ähnlich.

Foto: Eva Ursprung
Foto: Eva Ursprung

(1) Elisabeth Fiedler, Joachim Hainzl, Alexandra Riewe (Hg.): uncurated, Unbefugte Interventionen im Grazer Stadtraum (Verlag Bibliothek der Provinz, 2020)
(2) Das mehrjährige Kunst-, Forschungs- und Friedensprojekt COMRADE CONRADE. Demokratie und Frieden auf der Straße untersuchte im Gedenkjahr 2018 (100 Jahre Ende des Ersten Weltkriegs und Ausrufung der Ersten Republik, 100. Jahrestag Allgemeines Wahlrecht für Männer und Frauen, 80. Jahrestag des Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland, 70 Jahre Menschenrechte) am Beispiel des nach dem Kriegstreiber Franz Conrad von Hötzendorf benannten Straßenzugs Zustand und Zukunft von Demokratie und Frieden in gelebter Form. Siehe dazu auch ausreißer-Sonderausgabe #82.