(Auszug)
Martin Peichl ◄
(1)
Ich bin wie ein Selbstbedienungsladen, sagt meine Lektorin, und greift in mich
hinein, ich denke: nah und frisch.
(2)
Ich erzähle dir von Scheideldorf. In keinem anderen Ort im Waldviertel
ertränken sich so viele Menschen im Löschteich. Im Internet findet man dazu
keine Informationen, keine Berichte. Halb Scheideldorf hat sich im Löschteich
ertränkt, aber niemand redet drüber.
(3)
Im Gymnasium hat uns der Direktor ein paar Wochen vor der Musterung Werbefilme
vom Bundesheer gezeigt, die Alternative sei „OASCHAUSWISCHEN“ bei irgendwelchen
Pensionisten und Pensionistinnen im Altersheim, so unser Direktor. Im selben
Jahr hat unser Klassenvorstand einen Tagesausflug in die Tullner Kaserne
organisiert, ich weiß noch, wie wir mit der ganzen Klassen Panzer gefahren
sind, Lehrplanbezug: Heimatkunde.
(4)
Wenn man „Balkanroute“ in die Google-Bildersuche eingibt, dann kommen viele
bunte Landkarten. Und auf den Landkarten eingezeichnet: bunte Pfeile. Sie
zeigen nur in eine Richtung.
(5)
Wenn ich mit meiner besten Freundin telefoniere, dann redet sie manchmal
Kroatisch mit ihrer kleinen Tochter, die im Hintergrund spielt, die fragt, ob
sie Schokolade haben darf. Das kroatische Wort für Schokolade klingt noch
weicher als das deutsche, fast so wie mein Dialekt.
(6)
Es gibt die Landkarten und die mit dicken Strichen eingezeichneten Grenzen. Es
gibt meinen Finger, mit dem ich die Grenzen entlangfahre oder mühelos von einem
Land ins nächste. Es gibt die Grenzen, aber wir haben sie erfunden.